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Es muss nicht immer Corona sein

Die folgende geschichtliche Überlieferung aus der Zimmerischen Chronik soll vom derzeit alles beherrschenden Thema für einen kurzen Moment ablenken, uns wieder einmal andere Gedanken bringen.

Die Chronik der Herren von Zimmern, seit 1538 Grafen von Zimmern, wurde in der Mitte des 16. Jhdt. von Graf Froben Christoph von Zimmern (1519*-1566+) in Meßkirch geschrieben.

Es ist auch anzunehmen, dass die Chronik vom Onkel des Verfassers, dem Vorsitzenden Richter am Reichskammergericht in Rottweil und Historiker Wilhelm Werner von Zimmern, wesentlich beeinflusst wurde.

Durch Heirat kamen die Herren von Zimmern in den Besitz der Herrschaft Meßkirch. Sie waren auch Besitzer der bekannten Burg Wildenstein im Donautal. Nach dem Aussterben der gräflichen Familie im Mannesstamm kamen durch Heirat und Erbschaft u.a.  Meßkirch und Wildenstein an das Haus Fürstenberg.

Neben der Aufzählung von Familienmitgliedern und der Abfolge der Generationen der Zimmern sind etliche lustige und seltsam anmutende Geschichten eingearbeitet, die zu jener Zeit den gebildeten Lesern in der einen oder anderen Art sicherlich bekannt waren.

Dazu zählen zwei Geschichten mit Bezug auf Bräunlingen, von denen die erste im heutigen Mitteilungsblatt / bzw. dem Newsletter erscheint; die zweite folgt in der nächsten Ausgabe. Beide Erzählungen sind in einer Anekdotensammlung aus der Zimmerischen Chronik erschienen, die Johannes Bühler unter dem Titel „Wappen, Becher, Liebesspiel“ 1940 veröffentlichte.

Die Rattenvertreibung in Meßkirch

Von alters her waren bis in das Jahr 1538 so viele Ratten in Meßkirch, dass sie oft an Früchten und sonst großen Schaden und den Leuten viel Unruhe und Mühe machten. Die Herrschaft und die Stadt habe oft viel Geld ausgegeben, wenn das Ungeziefer überhandgenommen hatte. Man gab den armen Leute oder wer es sonst tat, für jede gefangene Ratte einen Heller aus öffentlichen Geldern. Herr Gottfried Werner ließ etliche Male Sankt Ulrich Erdreich von Augsburg kommen, in der Hoffnung, es solle die Ratten vertreiben, wie es allgemein im Ruf steht, aber es wollte nichts nützen [der Heilige Bischof Ulrich von Augsburg galt als Patron gegen Mäuse und Ratten].

Nun kam im obengenannten Jahr kurz vor Weihnachten ein Abenteurer nach Meßkirch, der war von Bräunlingen. Er gab vor, er wolle gegen gebührliche Belohnung in der kommenden Christnacht alle Ratten aus Meßkirch durch sein Gebot also vertreiben, dass man auf ewige Zeiten keine mehr in der Stadt sehen oder spüren solle. Wiewohl nur wenige Leute meinten, dass er etwas Fruchtbares ausrichten werde, weil er eine unachtbare, unansehnliche Person war, kamen die Bürgermeister doch mit ihm wegen der Besoldung überein, es war nämlich nicht viel, nicht über vier oder fünf Gulden, und die sollten ihm erst gegeben werden, wenn die Kunst sich als richtig erwiesen und die Ratten aus der Stadt vertrieben wären.

Als nun die Christnacht da war, ging er durch alle Gassen und Gässle des Fleckens, das trieb er die ganze Nacht bis Mitternacht, bis man um zwölf Uhr Schrecken läutete, da ging er aus der oberen Stadt auf das Marktbrücklein und verbannte die Ratten aus der Stadt. Was er aber für Zeremonias und Worte dazu gebraucht, das hat niemand gesehen oder gehört; denn er hat niemand zusehen oder zuhören lassen. Er hat aber erfüllt, was er versprochen; in der nächsten Woche sind die Ratten dermaßen verschwunden, dass man von der Zeit an keine Ratte mehr in der Stadt gesehen, auch jetzt ist alles dort mit Gotte Gnade frei davon.“

Im Anschluss schrieb der Graf die Geschichte des Rattenfängers von Hameln in Westfalen mit dem bekannten Ausgang mit dem Verschwinden der Kleinkinder als unrühmlichen Vergleich in seine Familienchronik und verwies darauf, dass die Stadt Hameln fortan nach dem Datum in ihren Schriftsätzen nicht den Zusatz schrieb: nach Christi Geburt, sondern den Zusatz: in dem Jahre oder dem Jahr nach dem Verlust unserer Kinder.

Mäuse in Bräunlingen

Soweit die Zimmerische Chronik. Aber was unternahmen die Bräunlinger gegen Ratten die Mäuse? Ob ihnen bekannt war, was man in Messkirch über einen der ihren erzählte, steht nirgends geschrieben. Vielleicht galt der Prophet im eigenen Land auch in dieser Hinsicht nichts.  Wahrscheinlicher aber ist, dass sie auf herkömmliche Art das Ungeziefer vertreiben mussten. Jedenfalls ist für das Jahr 1774 in den Stadtrechnungen (Geldt-Rechnung Nr. 22) eine Ausgabe verzeichnet, die die Stadtverwaltung dem Joseph Baumeister für das Reparieren eines Fasses bezahlte, das die Stadt vom Löwenwirt ausgeliehen hatte, um darin die gefangenen Mäuse zu ersäufen.

Um 1900 tat man das schon eleganter: unter den für das Kelnhof-Museum neu erworbenen Alt-Beständen der Drogerie Fritschi in Hüfingen befinden sich auch einige (leere) Schachteln mit Giftköder und eindringlichem Warnhinweis vor dem Wirkstoff, der auch für Menschen und „Thiere“ giftig sei.

März 2020

Joachim Schweitzer & Susanne Huber-Wintermantel
www.kelnhofmuseum.de

Zimmerische Chronik im Stadtarchiv, Band I-IV

„Giftkörner zur Vertilgung von Mäusen“ aus der Hüfinger Drogerie Fritschi (einer von mehreren Neuzugängen im Kelnhof-Museum)

Artikel wurde am 24. März 2020 veröffentlicht.