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1945 – Nach der Stunde null: Neubeginn im Einvernehmen mit der französischen Besatzung (Teil 1)

Seit einigen Wochen ist das Porträt von Bürgermeister Johann Zirlewagen, das bisher im Sitzungssaal des Rathauses hing, in den Fundus des Kelnhof-Museums übergegangen. Das Porträt wurde von Otto Hanisch, Fürstenberg, ebenso wie die Portraits der Bürgermeister Bernhard Blenkle und Julius Hummel in Öl gemalt.

In diesen Tagen jährt sich zum 75. Mal die Einsetzung von Johann Zirlewagen als Bürgermeister durch die französische Besatzungsmacht. Beides, Porträt und Besatzungszeit, ist Anlass, über die Vorkommnisse im April und Mai 1945 sowie über Johann Zirlewagen nachfolgendes für die Nachwelt festzuhalten.

Noch in der Nacht von 24./25. April zogen deutsche Einheiten im aufgelösten Zustand vom Bregtal kommend durch Bräunlingen Richtung Döggingen mit dem Ziel, sich zur schweizerischen Grenze durchzuschlagen, um so einer Gefangennahme zu entgehen. Auch tagsüber zogen noch vereinzelte Truppen durch die Stadt. Die Soldaten hatten sich größtenteils von ihren Einheiten entfernt, und versuchten, sich bei der Bevölkerung Zivilkleidung zu besorgen, was jedoch nur vereinzelt gelang.

Auch die zur Verteidigung positionierten deutschen Truppen zogen ab, wobei die Nachhut noch die Vorrichtungen zur Sprengung der Brücke beim Schulhaus über den Brändbach anbrachte. Die Sprengung konnte jedoch verhindert werden. Franz Hornung und Richard Beha, beide aus der Mittelgasse, machten die angebrachten Minen unschädlich.

In diesen Tagen fungiert Grundbuchratschreiber Hermann Hofacker als „Notbürgermeister“, wobei Stadtrechner Reinhard Fehrenbach zur Unterstützung eingeteilt war. Die ersten Amtshandlungen, Bekanntmachungen und Verhaltenshinweise dieser „Übergangsverwaltung“ wurden bereits im Mitteilungsblatt vom 28.4.2020 veröffentlicht (diese können unter www.kelnhofmuseum.de nachgelesen werden). Die wesentlichen Personen der NS-Zeit in Bräunlingen (Ortsgruppenleiter Theodor Weißer und Bürgermeister Julius Hummel) hatten sich kurz vor der Besetzung durch die französischen Truppen „abgesetzt“, d.h. sie sind untergetaucht. Bürgermeister Hummel hat sich jedoch nach wenigen Tagen der Besatzungsmacht gestellt. Offensichtlich fungierte Julius Hummel seit dem 8. Mai 1945 wieder als Bürgermeister. Eine öffentliche Bekanntmachung, die Aufhebung der Ausgangsperre im Brandfall für Feuerwehrmänner betreffend, wurde mit „Der Bürgermeister: Hummel“ der Einwohnerschaft zur Kenntnis gegeben. Bis anfangs Mai wurden Bekanntmachungen und Schriftstücke noch mit „Der Bürgermeister: i.V. Hofacker“ unterzeichnet.

Wer übernimmt Verantwortung?

Nach der Besetzung der Stadt sollte auf Vorschlag der Besatzungsmacht eine „unbelastete Person“ das Amt des Bürgermeisters übernehmen. Nach Auskunft eines Zeitzeugen, der nach eigener Schilderung die Sachlage aus Gesprächen kannte, haben sich politisch interessierte Personen aus dem früheren Zentrumskreis darüber beraten. Es wurden Kunstmaler Carl Hornung, Wagner und Landwirt Bernhard Moßbrugger, Landwirt Johann Moser und Maurermeister Otto Holzer befragt, die in der genannten Reihenfolge es jedoch jeweils ablehnten, das Amt des Bürgermeisters zu übernehmen. Daraufhin hat sich Paul Dachs, seinerzeit erklärter Kommunist, ins Gespräch gebracht. Um Dachs als Bürgermeister zu verhindern, hat sich dann Johann Zirlewagen bereit erklärt, sich als Bürgermeister zur Verfügung zu stellen.

Johann Zirlewagen wird Bürgermeister

Johann Zirlewagen, Eisenbahnangestellter und Landwirt, wird am 29. Mai 1945 von der französischen Besatzungsmacht als Bürgermeister eingesetzt. Die Ernennung erfolgte durch den französischen Kommandanten Capitaine (Hauptmann) Michel. Die Einwohnerschaft wurde mittels der nebenstehenden Bekanntmachung hierüber informiert.

Grundlage der Bestellung als ehrenamtlicher Bürgermeister war die Verordnung Nr. 540 der Militärregierung.

Johann Evangelist Zirlewagen, Jahrgang 1901, ein Bräunlinger Bürgersohn, ist am 15. September 1945 durch den Gemeinderat als Bürgermeister bestätigt worden, nachdem er zuvor durch den Landrat im Einvernehmen mit dem Militärgouverneur in Donaueschingen als vorläufiger Bürgermeister mit Verfügung vom 12. September bestätigt war. Er versieht dieses Amt bis zur Wahl von Bernhard Blenkle am 5. Dezember 1948. Am 27. September 1950 erfolgt dann noch der Rücktritt als Gemeinderat.

Unmittelbar nach seiner Einsetzung ernennt/bestellt Johann Zirlewagen acht Bürger zu Mitgliedern des Gemeinderats.  Teil 2 über die Bildung und Zusammensetzung des Gemeinderates folgt an dieser Stelle.

 

Mai 2020

Joachim Schweitzer

 

Artikel wurde am 28. Mai 2020 veröffentlicht.