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Erinnerungen und Gedanken zum Volkstrauertag 2020

Am Volkstrauertag gedenken Regierungen in Bund und Ländern, erinnern Bürgermeister und Ortsvorsteher bei örtlichen Gedenkveranstaltungen, an die vielen Millionen Toten der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts. Offizielle, Angehörige und Nachkommen der Toten nehmen an den Gedenkveranstaltungen teil. Es wird das Lied „Der gute Kamerad“ gespielt, das 1809 von Ludwig Uhland gedichtet und 1825 von Friedrich Silcher vertont wurde. 2020 wird sicherlich an das Ende des II. Weltkrieges erinnert, das jetzt 75 Jahre zurückliegt. Aber es gibt auch erinnerungswürdige Ereignisse, die doppelt so lange zurückliegen.

In diesen Tagen des Volkstrauertages 2020, der aufgrund der Corona-Pandemie sicherlich Änderungen im gewohnten Ablauf nötig macht, jährt sich am kommenden Donnerstag der 150. Todestag von Ferdinand Hofacker, der am 12. November 1870 in Frankreich während des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 gefallen ist.

Der Sohn des Rösslewirts wurde am 30. Oktober 1870 bei Dijon verwundet und ist am 12. November 1870 in Vesoul, Departement Haute-Saone, in Frankreich an seinen Verletzungen gestorben. Er wurde nur 23 Jahre alt. Sein Heimathaus war das Gasthaus „Rössle“, heute Kelnhof-Museum. Noch heute ist die frühere Nutzung am Wirtshauschild abzulesen. Der Vater, Ratschreiber Philipp Hofacker, hatte 1846 den Kelnhof mit der Gastwirtschaft erworben.

Über Ferdinand Hofacker konnte das Nachstehende eruiert werden: Nach der Verlustliste der Großh. bad. Felddivision, veröffentlicht am 15. November, ist er noch als leicht verletzt gemeldet, wobei als Verletzung ein „Streifschuss an der linken Backe“ angegeben wurde. Zum Zeitpunkt dieser Meldung war er aber bereits seinen Verletzungen erlegen.

Im Donaueschinger Wochenblatt, Samstag, 19. November 1870, lesen wir in einer damals üblichen pathetischen Wortwahl:

„Bräunlingen. In letzter Dienstagsnummer dieses Blattes wurde uns in der Verlustliste die Verwundung des Ferdinand Hofacker von hier mitgeteilt. Leider sind wir heute in der Lage, den Lesern seinen Heimgang zum Himmelsvater zu melden. Ferdinand Hofacker war der einzige Sohn und zugleich noch die einzige Hoffnung des Rösslewirts und Holzhändlers Hofacker von Bräunlingen, der auch wegen seines Geschäftsbetriebs in weiten Kreisen bekannt ist. Ferdinand wuchs zur Freude seiner Eltern als blühender, hoffnungsvoller Mann heran, der keinem Kinde, vielweniger sonst Jemanden ein Leid zufügte, daher auch vor Jedermann, der ihn kannte, in hoher Achtung stand. Im Jahr 1867 trat er als Einjähriger Freiwilliger in das 1. Leibgrenadier-Regiment ein, wo er wieder das glänzendste Zeugnis seiner Behörde mit nach Hause brachte. Unter heißen Tränen nahm er im Juli d. J. Abschied von seinen Lieben, um auf dem Kampfplatz zu erscheinen; und richtig, was man ahnte, das geschah bei Dijon; dort zerschmetterte ihm eine feindliche Kugel den Unterkiefer, wozu sich der Starrkrampf gesellte, der seinen Lebensfaden im Lazarett zu Vesoul zerschnitt. Möge Gott ihm für seine schönen Tugenden, für die Liebe zu seinen Eltern, Schwestern und sein teures Vaterland die Krone des Himmels schenken und die kühle Erde ihm leicht sein lassen!“

 Der Vater von Ferdinand Hofacker, Rösslewirt Philipp Hofacker, starb im Alter von 56 Jahren nicht einmal ein Jahr später am 10. Oktober 1871, zwei Tage vor der Einweihung des Gedenkkreuzes für die Gefallenen von 1870/71. Im Donaueschinger Wochenblatt ist u.a. aufgeführt, dass sein Sohn vor nicht einmal einem Jahr in Frankreich gefallen ist und dies „wahrscheinlich auch dem Vater den Todesstoß gab“.

Das Gedenkkreuz, das an die drei im Krieg verstorbenen Bräunlinger, Ferdinand Hofacker, Franz Neukum und Richard Fehrenbach, und an den Sohn des Blumenwirts von Waldhausen, Franz Josef Bader, erinnert, stand bis 1959 im Eingangsbereich des Friedhofes in Bräunlingen. Es musste dem Neubau der Einsegnungshalle und der Neugestaltung des Vorplatzes vor der Remigiuskirche weichen. Der Sockel des Hochkreuzes befindet sich heute  eingelassen in der Umfassungsmauer am Friedhofseingang.

Franz Josef Bader, ist 21jährig am 6. Oktober 1870 bei Etival/Frankreich, Departement Jura, einem Kopfschuss erlegen. Über ihn steht im Donaueschinger Wochenblatt: „Wer den hoffnungsvollen Mann kannte, ebenso seinen kranken Vater und die nicht gesunde Mutter, die mit Sehnsucht auf die Rückkehr ihrer einzigen Stütze, des Sohnes warteten, werden leicht empfinden, wie schwer der Verlust des braven Gefallenen ist.“

Die Gemeinde Waldhausen hat sich mit einem Viertel, 38 Gulden 54 Kreuzer, an den Kosten des Gedenkkreuzes beteiligt.

Nach dem Tod von Rösslewirt Hofacker, der z.Zt. der Badischen Revolution 1848/49 kurz Bürgermeister war, erbte seine Tochter Sofie die Wirtschaftsgerechtigkeit mit Schild (Schildgerechtigkeit), seine Witwe Maria geb. Boma erbte die frühere Stadtsäge, heute Staierte Säge genannt, am Brändbach Richtung Waldhausen, sowie eine Säge an der Gauchach, Gemarkung Dittishausen. Durch das Fehlen des gefallenen Ferdinand Hofacker war jedoch die Weiterführung der Säge, welche erst drei Jahren zuvor neu aufgebaut worden war, nicht möglich, weshalb die Witwe bereits im November 1871 den Verkauf öffentlich ausgeschrieben hatte. Andreas Ruf, Holzhändler und Martin Hany, Uhrenmacher, beide in Neustadt, erwarben die Säge mit Wasserrecht, Weiher, Kanal, Holzlagerplatz und Wiesen. Der Name Staierte Säge stammt von Adolf Staiert, Säger, der um 1895 die Säge erwarb.

Die Tochter Sofie Reichmann, verheiratet mit Xaver Reichmann aus Unterbaldigen, der zu jener Zeit Verwalter das F.F. Waldhauser Hofes war, führte die Gastwirtschaft „Rössle“ weiter. Sie starb jedoch bereits 1877. Erben waren der Ehemann und die minderjährige Tochter Luise (geb. 1863). Der Witwer erhält u.a. das Wohn- und Wirtschaftsgebäude mit Widerkehre und Wagenschopf (Gaststall) sowie eine Wiese am Brändbach, auf der heute der Landgasthof Weinstube Wehinger steht. Xaver Reichmann und seine zweite Frau Anna Wehinger verkauften 1883 das Rössle an den noch ledigen Johann Wehinger, der noch im gleichen Jahr die Tochter Luise aus erster Ehe heiratete.

1908 verkauften die Eheleute Wehinger den Kelnhof an den Orgelpfeifenmacher Josef Oschwald von Seppenhofen. Nach diversen Verpachtungen kaufte 1922 Gustav Scherzinger das Anwesen. Der Wirtschaftsbetrieb wurde im gleichen Jahr eingestellt. Die Stadt Bräunlingen wiederum kaufte 1979 das Gebäude von seinem Sohn Herbert Scherzinger und richtete dort in den folgenden Jahren das Kelnhof-Museum ein.

Die Gastwirtsfamilie Wehinger hatte in den beiden Weltkriegen wiederum den Tod von Familienangehörige zu beklagen. Im I. Weltkrieg ist 1915 Wilhelm Wehinger, 25 Jahre alt, ein Zwillingsbruder von Friedrich (Fritz) Wehinger und im II. Weltkrieg 1943 dessen Sohn Johann (Hans), 19 Jahre, gefallen.

Das Schicksal von Ferdinand Hofacker hat nicht nur seine Eltern und Familie hart getroffen, sondern hatte auch Auswirkungen in das Eigentum des Gasthauses „Rössle“ und der Säge am Brändbach gehabt. Es wäre spekulativ zu denken, welche andere Entwicklung eingetreten wäre, wenn Ferdinand Hofacker 1871 gesund aus dem deutsch-französischen Krieg heimgekehrt wäre.

 Diese Frage kann am Volkstrauertag millionenfach gestellt werden, ohne dass darauf eine Antwort gegeben werden kann, genauso wie auf die Frage, was wäre, wenn es die beiden Weltkriege nicht gegeben hätte. Sicher aber ist, dass Kriege zu jeder Zeit all denen, die davon betroffen waren, nichts als Leid und Elend gebracht haben.

 

Zum Volkstrauertag 2020

Joachim Schweitzer

Artikel wurde am 10. November 2020 veröffentlicht.