Artikel

Stadtkirche Bräunlingen: Glockenweihe an Pfingsten vor 100 Jahren – Teil 1 (von 3)

Am Pfingstfest vor 100 Jahren fand die Weihe von drei neuen Glocken statt

Im April 2021 von Joachim Schweitzer

 

Einleitung

Die nachfolgenden Ausführungen wurden durch die Ausstellung 2014 im Kelnhof-Museum über den Bau der Stadtkirche und Dekan Carl Alois Metz angeregt. Bei den Recherchen zur Marienglocke, gleichzeitig Kriegergedächtnisglocke, für eine Veröffentlichung zum Volkstrauertag 2019 kam dann die Idee, zum Hundertsten Jahrestag der Glockenweihe eine kleine Abhandlung zur Geschichte der Glocken der Stadtkirche für den Zeitraum 1917 bis 1942 zusammenzustellen. Hierfür wurden Unterlagen in den Archiven des Pfarramtes, der Erzdiözese Freiburg sowie dem Stadtarchiv Bräunlingen ausgewertet.

Auf diesen ersten Teil zu diesem für Bräunlingen damals kurz nach dem I. Weltkrieg wichtigen Anlass folgen noch zwei weitere Abfolgen, welche die Glockengeschichte der Stadtkirche für den genannten Zeitraum abrunden.

1917 – Abgabe Glocken – Glockenguss in Villingen

Wie überall im Land wurden 1917, so auch in Bräunlingen, Glocken aus den Glockenstühlen der Kirchtürme heruntergeholt. Sie wurden eingeschmolzen, das dadurch gewonnene Material zu Kriegszwecken verwendet. Das gleiche geschah auch mit Prospektpfeifen der Orgel der Stadtkirche. Im Juli 1917 mussten insgesamt 295 kg Zinn in Form von Orgelpfeifen abgegeben werden. Die Abgabe der Glocken und des Zinns hatte nach einer Anordnung des Bezirksamtes zu erfolgen. Rechtsgrundlage war eine „Bundesratsverordnung über die Sicherstellung von Kriegsbedarf“. Ablieferungspflichtig waren die Eigentümer der Glocken, in der Regel die örtliche Kirchengemeinde, bei weltlichen Glocken die politische Gemeinde oder der sonstige Eigentümer, z.B. bei Hofkapellen. Wer nicht rechtzeitig ablieferte machte sich strafbar und die Glocken wurden auf Kosten des Besitzers abgeholt. Anfangs Juni 1917 wurde dem Pfarramt mitgeteilt, dass das „Heeresinteresse eine beschleunigte Abgabe“ verlangt. Zum Übernahmepreis wird zusätzlich eine Prämie von 1 Mark je kg Bronze zugesagt, wenn die Ablieferung vor dem 30. Juni 1917 an die Sammelstelle bzw. Eisenbahnstation erfolgt.

Auf dem Turm der Stadtkirche hingen seinerzeit vier Glocken, eine weitere auf dem Dachreiter über der Vierung. Zwei Glocken, gegossen 1877, welche noch von Stadtpfarrer und Dekan Carl Alois Metz beschafft wurden, waren wegen ihres musikalischen Wertes von der Abgabe befreit. Eine Glocke in Bruggen, gegossen 1566, und die drei Glocken im Turm von St. Remigius (Friedhofskirche) wurden wegen ihres besonderen geschichtlichen Wertes ebenfalls von der Ablieferung befreit.

Für die Bedürfnisse des Gottesdienstes durfte die kleinste Glocke im Geläut belassen werden.

Abgegeben wurden am 27. Juni 1917 die Glocke der Ottilienkapelle, je zwei Glocken der Filialkirchen in Bruggen und Waldhausen und am 28. Juli 1917 drei Glocken der Stadtkirche.

Den Materialwert für die abgegebenen Glocken und das Zinn betrug laut einer Notiz in den Akten des Pfarramtes 7.119,50 Mark.

Bereits ein Jahr nach dem Ende des I. Weltkriege (11.11.1918) befasste sich der Kath. Stiftungsrat und der Gemeinderat zum Ende des Jahres 1919 mit dem Ersatz für die abgegebenen Glocken. Pfarrverweser Risch beantragte, nachdem entsprechende Beschlüsse des Gemeinderats und Kath. Stiftungsrats gefasst waren, im April 1920 beim Kath. Oberstiftungsrat, seinerzeit in Karlsruhe, die Genehmigung für einen Glockenguss. Die Genehmigung wurde zeitnah, 2 Monate später am 24. Juni 1920, durch das Erzbischöfliche Ordinariat erteilt.

Der Guss der neuen Glocken fand am 21. April 1921 in der Glockengießerei Grüninger [i] in Villingen statt.

Zu diesem denkwürdigen Akt hatte sich der Gemeinderat mit 10 Schülerinnen und Schüler der Volksschule mit Vertretern der kath. Pfarrei /Stiftungsrat, eingefunden. Es wurden drei Glocken gegossen. Das Gewicht der größten betrug 704 kg, bei einem Durchmesser von 103 cm. Danach folgten Glocken mit 325 kg bzw. 150 kg, Durchmesser 79 cm bzw. 63 cm. Die kleinste Glocke ist für den Dachreiter auf der Vierung zum Läuten während des Evangeliums und der Wandlung bestimmt, sogenannte Evangelienglocke. Den beteiligten Arbeitern der Firma Grüninger gab die Stadt ein Trinkgeld von 100 Mark, ebenso wurden das Fahrgeld und die Kosten für das Mittagessen der Bräunlinger Abordnung übernommen. Mit dem Glockengießer Benjamin Grüninger waren die Bräunlinger freundschaftlich verbunden.[ii] Für die Abholung der Glocken in Villingen hat sich in dankeswerte Weise die Firma Straub bereiterklärt. Sie stellte Fuhrwerk und Fuhrmann zur Verfügung. Fuhrmann Gottlieb Kromer holte die Glocken am Freitag vor Pfingsten ab. Von der Stadt bekam er hierfür ein Trinkgeld von 50 Mark. Die Glocken wurden bis zur feierlichen Weihe am Pfingstsonntagnachmittag im Chor der Stadtkirche zur Besichtigung durch die Einwohner aufgestellt. Die Prüfung der Glocken (Glocken-TÜV) wurde von Domkapellmeister Carl Schweitzer,[iii] Freiburg, im Auftrag der Oberkirchenbehörde vorgenommen und der Prüfbescheid erteilt. Er schreibt:“ Die neuen Glocken sind im Guss sehr gut ausgefallen. Die Inschriften und Ornamente sind sauber ausgeprägt und das Metall zeigt die richtige Farbe eines gut gemischten und richtig legierten Glockenmetalls. Der Ton jeder der beiden neuen Glocken ist in sich rein und besitzt durch günstige Obertöne einen angenehmen Wohlklang. Auch der Klang der neuen Glocke im Dachreiter, die außerhalb des Geläutes steht, ist gut“. Sein Prüfbescheid endet mit der Bemerkung, „da der Vertrag, der abgeschlossen wurde als der Metallpreis noch hochstand, erfüllt ist, und da zudem die politische Gemeinde in der günstigen Lage und gewilligt ist, den weitaus größten Teil des Betrages zu bezahlen, so wird die nachträgliche Genehmigung wohl  erteilt werden können“.

Die 3 Glocken bei ihrer Ankunft in Bräunlingen, links am Wagen Stadtpfarrer Meister, rechts Bürgermeister Martin Müller

 

 

 

 

 

 

 

Kosten / Finanzierung

Im Ratsprotokoll der Stadt Bräunlingen vom 19. Dez. 1919 lesen wir, „da während des Krieges verschiedene Glocken abgeliefert werden mussten, so wird allgemein der Wunsch gehegt, die fehlenden Glocken zu ersetzen. Da die erhaltene Entschädigung für die abgegebenen Glocken in Anbetracht der Teuerung bei weitem nicht ausreicht bzw. in keinem Verhältnis zu den Anschaffungspreisen steht, ergeht folgender Beschluss: Zur Beschaffung von Kirchenglocken werden 10.000 Mark vorbehaltlich der Zustimmung des Bürgerausschusses genehmigt“. Die Zustimmung des Bürgerausschusses, seinerzeit 37 Mitglieder, erfolgte am 27.12.1919 einstimmig. Der damalige Pfarrverweser Risch schreibt dann am 19.4.1920 an den Gemeinderat, dass die Glocken bei der Firma Grüninger bestellt sind, aber die vorhandenen Mittel „nur ganz unzulänglich sind“. Weil aber die Glockengießerei für das notwendige Material sofortige Zahlung verlangt, wurde um ein Darlehen bei der Stadt in Höhe von 50.000 Mark nachgesucht, wenn möglich zinslos. Bereits am 23.4.1920 beschloss der Gemeinderat, nachdem Kosten durch freiwillige Gaben der hiesigen Einwohner zusammengebracht werden müssen, die Kosten für die zweite Glocke, die sogenannten Marienglocke, zu übernehmen und den Differenzbetrag bis zum Betrag von 50.000 Mark unverzinslich bis zum 1. Mai 1925 zur Verfügung zu stellen. Dieser Beschluss erfolgte unter dem Vorbehalt, dass die Stadt auch ein Benutzungsrecht für die Glocke hat.

Die Gesamtkosten für die 3 Glocken betrugen lt. Mitteilung des Kath. Oberstiftungsrates 73.107 Mark. Der Preis für das Glockenmetall betrug 70 Mark je Kilogramm. Im Mai 1921 schreib der kath. Stiftungsrat Bräunlingen „zu den Kosten wird der hiesige Kirchenfond nur mit dem Betrag beigezogen  werden, den er s. Zt. aus den alten Glocken erlöst hat, samt dem darauf eingegangenen Zins mit rund 7.000 Mark. Für alle weiteren Kosten kommen wir aus Gemeindemitteln und Sammelgeld auf“.

Am Schluss stand dann folgende Finanzierung:

50.000 Mark Kostenübernahme der zweiten Glocke durch die Stadt, Rest als zinsloses Darlehen

10.000 Mark Zuschuss der Stadt zur Anschaffung der sogenannten Evangelien-Glocke

10.000 Mark bereits angelegte Spenden

7.000 Mark weitern Spenden

2.000 Mark Erlös aus den alten Glocken

Trotz der nicht unerheblichen Zuschüsse verzichtete die Stadt mit Beschlüssen des Gemeinderats und des Bürgerausschusses auf ein Eigentumsrecht. Die beiden „gesponserten“ Glocken wurden dadurch Eigentum das kath. Kirchenfonds.

Für das Herrichten des Glockenstuhls mussten für die Zimmerleute und Schmiede 1.228 Mark, für den Transport, Abladen und Aufstellen im Chorraum einschließlich Dekoration 494 Mark und für Fotoaufnahmen 108 Mark aufgewendet werden.

Bei allen Kosten ist zu beachten, dass diese in Vorfeld der großen Inflation von 1923 angefallen sind und Teuerungen, zum Teil während einer Auftragsabwicklung, entstanden. So war im Oktober 1921 die Mark nur noch ein Hundertstel ihres Wertes vom August 1914 wert. Festgesetzte Jahreslöhne für den Organisten, Chorleiter und Mesner wurden z.B. 1921 dreimal mit Teuerungszulagen angepasst. Bei der Lieferung der Glocke 1922 für die Ottilienkapelle wurde für den Zeitraum August 1921 bis Februar 1922 ein Teuerungszuschlag für Löhne von 100 % berechnet. Nach einer Mitteilung der Glockengießerei Gebr. Bachert, Karlsruhe, steigerte sich der Preis pro kg gegossene Glocke von 26 Mark (Nov. 1919) bis zum Höchststand mit 65 Mark (März 1920). Zum Zeitpunkt des Gusses der 3 Glocken betrug dieser 45 Mark, wobei jedoch anzumerken ist, dass die Preisgestaltung wegen des Materialeinkaufs zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe (Dez. 1920) mit 70 Mark maßgebend war.

 

[i] Die Glockengießerei in Villingen hatte ihren Ursprung um 1580 mit der Familie Raeble/Reble, 1645 durch Einheirat von Johann Joachim Grieninger Beginn der Grüningerdynastie die bis 1948 in Villingen bestand.

[ii] Benjamin Grüninger war Zunftmeister der Villingen Narro Zunft, zu der schon damals freundschaftliche Beziehungen gepflegt wurden. Drei Jahre später, 1924, waren Villingen und Bräunlingen mit 11 weiteren Zünften Gründungsmitglieder der heute Vereinigung schwäb.-alemannische Narrenzünfte genannten Dachorganisation der Narren im deutschen Südwesten, einer Organisation, die weit vor Bildung des Südweststaates über die seinerzeitigen Grenzen von Baden und Württemberg eine Zusammenarbeit begonnen hat. Glockengießer Benjamin Grüninger war der erste Präsident dieses neuen Verbandes. Seine Firma hat auch Rollen für Hanselgeschelle gegossen. Die Geschellriemen mit Grüninger-Rollen, von denen es noch einige in Bräunlingen gibt, sind heute Raritäten und in Villingen sehr begehrt.

[iii] Die Namensgleichheit mit dem Autor ist zufällig.

Artikel wurde am 4. Mai 2021 veröffentlicht.