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Vor 150 Jahren – eine Gewalttat, an die in Bräunlingen immer wieder erinnert wird (Teil 1 von 3)

In diesen Tagen jährt sich ein Ereignis, welches in der Umgebung den Bräunlingern den Spitz- oder Spottnamen, auch Übernamen, „Schenkelesäger“ einbrachte. Diese etwas spöttische oder neckische, zuweilen bissige oder polemische, für manche auch höhnische, sarkastische oder ehrenrührige Bezeichnung fußt auf einem Ereignis, das sich vor 150 Jahren in Bräunlingen, in der Döggingerstraße, zugetragen hat. Dieser Neckname steht neben den anderen Spitznamen „Österreicher“ oder „Vorderösterreicher“, die zunehmend in Vergessenheit geraten.

Am 24. Juli 1871 wurde der israelitische Handelsmann Berthold Kaufmann aus Gailingen Opfer einer Gewalttat.

 Im ersten Teil dieser Erinnerung wird der eigentlich mehr oder weniger bekannte Tathergang beschrieben, im zweiten Teil Herkunft und Familie des Opfers, und im dritten Teil die Familie des Täters.

Berthold Kaufmann, 28 Jahre alt, seit 1 ½ Jahren verheiratet, war auf der Baar auf Geschäftsreise. Da er am Tag, an welchem er zuletzt gesehen wurde, 24. Juli 1871, noch mehrere Zahlungen einzog, soll er eine größere Geldsumme mit sich geführt haben. Zuletzt wurde er auf dem Magdalenen-Markt, einem Krämer-, Vieh- und Schweinemarkt, in Bräunlingen gesehen. Ein Telegramm, abgesandt in Villingen, an den Vater, Josef Kaufmann, mit dem Inhalt, dass er erst in etwa 8 Tagen nach Hause zurückkomme, und mit Josef unterzeichnet war, machte die Familie stutzig. Da der Vermisste als solider Mann bekannt war, war der Familie die ganze Sache suspekt, zumal die Mitteilung mit Josef, einem bei Juden beliebten Vornamen, und nicht mit Berthold unterschrieben war. Sie schaltete dann den nebenstehenden Aufruf im Donaueschinger Wochenblatt am 1.8.1871.

Bei den Nachforschungen über den Verbleib des Berthold Kaufmann stellte sich heraus, dass dieser zuletzt in der Nähe des Hauses von Fidel Anton Laucher in der Döggingerstraße und Laucher selbst am 25. Juli, an dem das Telegramm in Villingen aufgegeben wurde, in Villingen gesehen wurden. Es nährte sich der Verdacht, dass im Haus des Laucher etwas geschehen sein musste. Hausdurchsuchungen und nächtliche Überwachungen des Hauses durch die Gendarmerie blieben aber ohne Erfolg.

In der Nacht zum 31. Juli gestand Laucher seiner Frau, Theresia geb. Widmann, dass er Berthold Kaufmann totgeschlagen habe und dass die Leiche unter den Flecklingen (Holzbohlen) in der Scheune liege. Mit diesem Geständnis eilte Theresia Laucher sofort zu ihrem Bruder Karl Widmann, Ratsdiener bei der Stadt Bräunlingen, der dann wiederum unverzüglich Bürgermeister Roman Ketterer [i] verständigte, dieser daraufhin mit der Gendarmerie die Verhaftung des Laucher vornahm. Nach anfänglichem Leugnen gab Laucher bei den Vernehmungen im Rathaus auf eindringlichen Rat des Bürgermeisters die Tat zu und legte ein Geständnis ab.

Roman Ketterer, Bürgermeister, Zeichnung von Karl von Schneider

Am 1. August begaben sich Gendarmerie und Gerichtsärzte in das Haus und fanden unter dem hohl liegenden Scheunenboden zuerst zwei abgetrennte Beine und nicht weit von denselben den fehlenden Körperteil von Berthold Kaufmann. Der Leichnam war vollkommen ausgeplündert, sogar der Fingerring wurde entwendet. Vom Bargeld fehlte jede Spur.

Was war wirklich geschehen!

Anton Laucher schuldete dem Josef Kaufmann, Gailingen, Geld. Da er voraussichtlich nicht zurückzahlen konnte erkundigte sich dessen Sohn Berthold Kaufmann, ob man dem Laucher 200 – 500 Gulden leihen konnte. Andernfalls bestand die Möglichkeit, aus einem Verkauf eines Grundstückes Rückzahlungen zu finanzieren.

Da keine unmittelbaren Zeugen zum Tathergang vorhanden sind, waren die Ermittler auf die Schilderungen Lauchers angewiesen. Es stellte sich jedoch im Laufe der Befragungen heraus, dass der Beschuldigte nur nach und nach mit dem Geschehenen herausrückte oder durch Beweise Weiteres zugab.

Berthold Kaufmann hat sich am 24. Juli um die Mittagszeit in die Wohnung des Lauchers in der Döggingerstraße begeben. Nach längeren Verhandeln sei ein Kaufvertrag über ein Grundstück am Mundel-finger Weg abgeschlossen worden. Laucher habe sich aber nach einigen Minuten aber entschlossen, von Verkauf zurückzutreten und den bereits abgeschlossenen Kaufvertrag zurückverlangt. Als Berthold Kaufmann sich jedoch weigerte, den Kaufvertrag zurückzugeben, hat Laucher diesen die 13 Stufen der steilen Treppe hinuntergestoßen, wo er mit dem Kopf auf dem Bretterboden aufschlug. Mit einem Besenstiel hat Laucher dann auf den am Boden verletzt liegenden Berthold K. geschlagen, worauf dieser zusammengebrochen liegen blieb und kurz darauf verstarb.

Den Leichnam verbarg Laucher zuerst im angebauten Stall unter der Futterkrippe, nach einem kurzen Besuch auf dem Markt in der Jauchegrube. Um eine Öffnung im Scheunenboden zu machen durchsägte er am 30. Juli in der Scheune einen Holzbohlen. Nachdem die Öffnung jedoch zu klein war sägte Laucher dem toten Körper beide Beine ab und schob diese dann mit dem Rumpf unter die Bohlen. Mit dem abgesägten Brett verschloss er die Öffnung.

Der Anklage, dass Laucher Berthold Kaufmann töten und berauben wollte, hat Laucher in der Gerichtsverhandlung widersprochen. Erst nachdem der zuvor erwähnte Kaufvertrag durch die Weigerung des Berthold Kaufmann nicht zurückgegeben wurde, habe sich die Tat in der Aufregung und im Zorn so ergeben und den festgestellten Lauf genommen.

Bezüglich der entwendeten Wertgegenstände und des Geldes ergaben die Ermittlungen dann folgendes: Sofort nach der Tat entwendete Laucher dem Getöteten dessen Ledertasche mit dem Geld, nahm den goldenen Ring vom Finger und nahm Uhr, Hut und Regenschirm an sich. Ring und Uhr hatte er später weggeworfen, den Regenschirm verbrannt, der Hut wurde auf dem Heuboden gefunden. Die Angaben zur Summe des entwendeten Geldes waren nicht glaubhaft. Zuerst gab er zu 3 Gulden an sich genommen zu haben, dann im Laufe der weiteren Ermittlungen 300 Gulden. Als man dann im Hause Geld gefunden hatte gab er zu, circa 400 Gulden genommen und versteckt zu haben. Diese Einlassung war jedoch nach den Angaben der Familie Kaufmann noch viel zu nieder. Auch wurde festgestellt, dass Laucher am Tag nach der Tat, 24. Juli, mit geraubten Geld Schulden beim fürstl. fürstenbergischen Rentamt zurückzahlte. Letztendlich stellte das Gericht fest, dass Kaufmann ca. 600 Gulden bei sich geführt haben muss.

Verurteilung durch das Schwurgericht

Die Staatsanwaltschaft  unterstellte die Tötungsabsicht und hat Anklage wegen Raub mit vorsätzlicher Tötung auf der Grundlage des früheren Badischen Strafgesetzbuches [ii] erhoben. Die Geschworenen schlossen sich dem Tötungsvorsatz nicht an, nach welchem eine Verurteilung zu Tode hätte ausgesprochen werden müssen. Das Schwurgericht vertrat vielmehr die Auffassung, dass „die Misshandlung nicht zum Vorsatz zu rechnen sei, nur von der Art gewesen sei, dass der Tod des Misshandelten vom Angeklagten als deren wahrscheinliche Folge vorhergesehen werden konnte.“

Am 23. Oktober 1871 wurde dann Fidel Anton Laucher durch Urteil des Schwurgerichts Konstanz wegen Raub mit Todesfolge zu einer Zuchthausstrafe von 20 Jahren verurteilt, wovon die 9 ersten Jahre in sechs Jahren Einzelhaft, verschärft durch 30 Tage Hungerkost, zu verbüßen sind.

 Fundstellen:

Donaueschinger Wochenblatt vom 1., 3., 8. Aug und 28. Okt. 1871

Gnadengesuchakte des Generallandesarchives Karlsruhe

[i] Roman Ketterer, Bürgermeister von Bräunlingen, 1869-1875, 1883-1884, 1890-1897

[ii] Das Reichsstrafgesetzbuch wurde zwar vor der a.o. Tat am 15.5.1871 erlassen und am 14.6.1871 bekanntgemacht, trat aber erst am 1.1.1872 in Kraft.

 

Juli 2021

Joachim Schweitzer

Artikel wurde am 7. Juli 2021 veröffentlicht.