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Vor 150 Jahren – eine Gewalttat, an die in Bräunlingen immer wieder erinnert wird (Teil 2 von 3)

Gemeinde Gailingen – Ein jüdisches Zentrum in Baden

Die jüdische Familie Kaufmann wohnte in Gailingen am Hochrhein, wo seit anfangs des 18. Jahrhunderts eine stets wachsende israelitische Gemeinde bestand. 1836 wurde eine neue Synagoge eingeweiht, welche in der Reichpogromnacht, 10. Nov. 1938, zerstört wurde. Heute erinnern zwei Gedenksteine an die Synagoge, das im ehemaligen israelitischen Schulhaus eingerichtete Museum und der große, landschaftlich schön oberhalb von Gailingen gelegene, jüdische Friedhof an die einst bedeutsame jüdische Gemeinde. Dieser Gemeinde waren auch die in Donaueschingen und Bräunlingen (Familie Zimt) ansässigen jüdischen Familien zugeordnet. Es bestand ein Kranken- und Pfründnerhaus sowie ein Alters- und Gebrechlichenasyl für alle badischen Juden. In dieser Einrichtung, nach dem badischen Großherzog Friedrich I. benannte Friedrichsheim, ist heute eine Altenpension untergebracht.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts, zurzeit von Berthold Kaufmann, betrug der jüdische Bevölkerungsanteil [i] um die 50 %, lag 1905 bei 34,6 %, 1933 noch bei 20 %. Bei der schrecklichen Deportation aller badischen Juden am 20. Oktober 1940 nach Gurs in Frankreich wurden mehr als 200 Gailinger Juden in Konzentrationslager verschleppt.

Jüdische Handelsleute aus Gailingen als Geldgeber – Familie Kaufmann

Josef Kaufmann, der Vater des in Bräunlingen getöteten Berthold, dessen hebräischer Name Baruch genannt Kaufmann war, hat als Handelsmann auch in unserer Gegend Geld gegen entsprechende Sicherheiten ausgeliehen, wobei diese vielfach im Pfand von Kühen und Feldern bestand. Viele Bauern und Handwerker auf der Baar standen zu jener Zeit bei jüdischen Handelsleuten aus Gailingen und Randegg, wo ebenfalls eine jüdische Gemeinde bestand, in der Schuld. Da zu jener Zeit in Bräunlingen noch kein Kreditinstitut bestand, die Kreditkasse Bräunlingen wurde erst 1880 gegründet, bestand nur die Möglichkeit der Geldleihe bei Verwandten, Privatleuten oder eben bei den Handelsleuten vom Hochrhein. Da den Kreditnehmern vielfach entsprechende Einnahmen fehlten, wurden die Pfandschaften geltend gemacht. Dies beweisen die vielen in den 1860er Jahren im Großh. Verkündblatt verkündeten und angeordneten Zwangsversteigerungen, so auch in Bräunlingen.

In der Funktion, Zinsen oder Kredittilgungen für seinen Vater einzunehmen, war Berthold Kaufmann im Juli 1871 unterwegs. Berthold Kaufmann wurde am 16. Febr. 1842 in Gailingen geboren. Die Ehefrau Fanny Nathan stammte aus dem oberfränkischen Langheim, wo ebenfalls eine jüdische Gemeinde bestand. Sie waren erst 1 ½ Jahre verheiratet, die Tochter Bertha wurde am 7. Okt. 1870 in Gailingen geboren, war also erst 9 Monate alt als der Vater in Bräunlingen zu Tode kam.                                 

Jüdischer Friedhof in Gailingen

Nachdem, nach heutigen Sprachgebrauch, die gerichtsmedizinische Untersuchung abgeschlossen und der Leichnam des Berthold Kaufmann freigegeben war, ist der Tote nach Gailingen überführt und auf dem dortigen jüdischen Friedhof beerdigt worden. Das Grab mit Grabdenkmal befindet sich nach jüdischer Tradition noch heute dort.

Grabdenkmal für Berthold Kaufmann auf dem jüdischen Friedhof in Gailingen

Der Grabstein trägt die Inschrift [ii]

Hier liegt begraben – Ein kluger und geradsinniger Mann, Freude seiner Verwandtender Gunst fand bei allen, die ihn kannten,Baruch, Sohn von Josef Kaufmann,eine erfrischende Quelle, in seiner Knospe wurde er gepflügt in Bräunlingen durch die Hand eines Mannes, ein Verfolger und Bösewicht, der sich ermächtigte aus Geldgier unschuldiges Blut (zu vergießen), wehe schrie die Menschenmenge, die ihn liebte, ihr Trank waren ihre Tränen, ihr Brot Wehklagen, sie werden ihn nicht vergessen bis zu ihrem Ende, getötet im Alter von 29 Jahren am 6. Aw [iii] und begraben am 15, desselben

Dank der Familie Kaufmann

In  einer Anzeige im Donaueschinger Wochenblatt vom 8. August 1871 ist zu lesen:

Danksagung

Allen öffentlichen Behörden und Privaten, welche sich um die Auffindung des Leichnams unseres unvergesslichen lieben Sohnes und Gatten

Berthold   K a u f m a n n

von hier und um die Entdeckung seines Mörders bemüht haben, insbesondere aber den betreffenden Mitglieder der Großh. Staatsbehörde in Villingen und Donaueschingen, dem Herrn Bürgermeister Ketterer und Ratschreiber Duffner in Bräunlingen, sowie den wackeren Herrn Gendarmen, welche genannte alle im Verein mit hiesigen Freunden des Seligen die größte Hingebung und eifrigste Tätigkeit  zur Ermittlung des Tatbestandes bewährten, sprechen wir hiermit unsern tiefgefühlten Dank aus.

Nicht minder danken wir für die zahllosen Beweise herzlicher Teilnahme an dem schrecklichen Unglück und Verluste unserer Familie.

Josef   Kaufmann und Frau – Fanny Kaufmann geb. Nathan

Fanny Kaufmann ist mit 23 Jahren Witwe, die Tochter Bertha Halbwaise geworden. Mutter und Tochter sind dann von Gailingen in die Heimat der Witwe nach Langheim/Oberfranken verzogen. Vor ihrem Wegzug hat die junge Witwe noch am 15. März 1872 vor dem Synagogenrat eine Stiftung eingerichtet. Mutter und Tochter hatten offensichtlich weiterhin Kontakt zur Familie Kaufmann und Bekannten in Gailingen. Die Tochter Bertha heiratete 1893 Elias Moos aus einer alteigesessenen jüdischen Familie in Gailingen.

Berthold-Kaufmann-Stiftung

Im Stiftungszweck ist u.a. zu lesen, dass diese “Zum Seelenheilt und ewigen Gedenken an meinen teuren Ehemann Berthold“ errichtet wird und den Namen Berthold-Kaufmann-Stiftung führen soll. Das Stiftungskapital betrug 300 Gulden, dessen Zinserträge wie folgt verwendet werden sollen:

„Der jeweilige Rabbiner verrichte alljährlich an der Jahrzeit [iv]meines unvergesslichen Berthold …, ein Seelengebet Schur und Kaddisch [v] und lasse an diesem Tag ein Seelenlicht brennen.“ Sie bemerkte in der Stiftungsurkunde ausdrücklich, dass der hebräische Name ihres Mannes „Boruch bar Josef hannolod min Zier ist“, was übersetzt heißt: „Baruch Sohn des Josef geboren als mein Schmuckstück“.

Für seine Tätigkeit erhielt der Rabbiner aus den Zinsen 3 Gulden und 30 Kreuzer. Der Rest des Zinsertrages sollte jeweils zum Jahrtag an Ortsarme verteilt werden.

Die Stiftung bestand bis 1922.

 

Im Juli 2021

Joachim Schweitzer

 

[i] Statische Angaben aus der Homepage der Gemeinde Gailingen an Hochrhein

[ii] Die Übersetzung stellte freundlicherweise der Verein für jüdische Geschichte Gailingen e.V., Herr Joachim Klose, zur Verfügung, ebenso die Angaben zum weiteren Lebensweg von Fanny u. Bertha Kaufmann sowie zur Berthold-Kaufmann-Stiftung

[iii] Aw oder Av ist der fünfte Monat des religiösen oder der elfte Monate des bürgerlichen jüdischen Kalenders , er fällt meist in die Monate Juli und August

[iv] Jahrtag der Tat

[v]  Jüdische Gebete

 

Artikel wurde am 20. Juli 2021 veröffentlicht.