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Vor 150 Jahren – eine Gewalttat, an die in Bräunlingen immer wieder erinnert wird (Teil 3 von 3)

Der Täter Fidel Anton Laucher

Der Täter Fidel Anton Laucher wurde als nichteheliches Kind der Helena Laucher am 7. Mai 1834 geboren. Die Mutter heiratete 1850 den verwitweten Wagner Sigmund Schmid Die Familie Laucher ist seit 1737 in Bräunlingen nachweisbar. Den ersten Vornamen Fidel, obwohl nicht im Taufbuch eingetragen, wurde von seinem Großvater Fidel Laucher übernommen. Unterm 27. April 1861 wurde der Zimmergeselle Anton Laucher nach Vorlegen der nötigen Zeugnisse und bezirksamtlicher Genehmigung gegen Entrichtung der vorgeschriebenen Gebühr als Zimmermeister in das Zunftbuch der Zimmerzunft eingetragen. Im Bürgerbuch der Stadt Bräunlingen ist er nicht verzeichnet. Die Heirat mit der ledigen Theresia Widmann fand am 13. Mai 1861 statt. Fünf Kinder wurden zwischen 1861 und 1869 geboren.

Das Haus in der Dögginger Vorstadt, Döggingerstraße 7, in welchem die unsägliche Tat geschah und das im Zuge des Baus der Ortsumgehung (Hallenbadumgehung) und dem Löwenkreisel abgebrochen wurde, hat der Ehemann der Mutter, Sigmund Schmid, am 14.3.1861 an seinen Stiefsohn Anton Laucher einschl. 13 landwirtschaftlichen Grundstücken für 1.383 Gulden und Fahrnissen im Wert von 301 Gulden gegen Wohnrecht und Leibgeding im Wert von 874 Gulden geschenkt, so dass lediglich noch 400 Gulden zu zahlen waren. Das Wohnhaus mit Scheuer wurde erst 13 Jahre zuvor, 1848, ohne die im  Schenkungsvertrag aufgeführten landwirtschaftlichen Liegenschaften vom Bärenwirt Martin Jäger für 1.000 Gulden gekauft. Das Nachbarhaus, zuletzt dem Küfer Theodor Bernhard gehörend, war im Besitz seines Onkels Stephan Laucher. An der Stelle der beiden Anwesen befinden sich heute, abgerückt von der Döggingerstraße, der Getränkemarkt der Löwenbrauerei und der dazu gehörige Parkplatz.

Was geschah nach der Tat und Verurteilung

Nach der Festnahme am 31. Juli 1871 wurde Anton Laucher im Amtsgefängnis Donaueschingen in Untersuchungsverhaft, so der damalige Terminus, inhaftiert. Bereits 4 Tage später bevollmächtigte er im Gefängnis seinen Schwager, Ratsdiener Karl Widmann, mit einer ausführlichen notariellen Generalvollmacht alle möglichen Rechtsgeschäfte in seinem Namen zu tätigen.

Gleichzeitig teilte er zur Niederschrift noch zivilrechtliche Schulden an die Sparkasse und 4 Bräunlinger Personen im Gesamtwert von 530 Gulden mit. Wiederum nur 4 Tage später am 8. August verkauft Karl Widmann im Versteigerungswege das Wohnhaus an der Döggingerstraße an Josef Mattes und insgesamt 19 landwirtschaftliche Grundstücke im Gesamtverkaufswert von 2.760 Gulden an 17 verschiedene Käufer. Einen Tag später, am 9. August, verkauft der Schwager Karl Widmann ein Grundstück Ob der tiefen Grub. Der Kaufpreis mit 50 Gulden ist bereits mit Vollstreckungsanordnung an Josef Kaufmann, Gailingen, abgetreten. Die nicht unerheblichen Schulden, die auf den Grundstücken lasten, haben die Käufer an die Gläubiger zu entrichten.

Karl Widmann, Ratsdiener Zeichnung von Karl von Schneider

Auf Anforderung des Amtsgericht um eine Aussage zu den Vermögensverhältnissen und Leumund des Anton Laucher befragt beschloss am 18. Aug. 1871 der Gemeinderat: „Der Gemeinderat glaubt nicht, dass die Untersuchungskosten aus dem Vermögen des Inculp.[i] beibringlich gemacht werden können“. Zum Leumund wurde mitgeteilt, dass Laucher 1867 wegen einer Körperverletzung zu einer  Geldstrafe von 25 Gulden verurteilt wurde. Weiter heißt es: „Derselbe besitzt ein heftiges raues Temperament, im Übrigen aber das Prädicat eines fleißigen Bürgers und guten Familienvaters“.

Am 25. Oktober 1871 erfolgte dann die Verurteilung wie im Teil 1 dieser Trilogie beschrieben durch das Schwurgericht in Konstanz.

Wie es mit der Familie weiterging

Die Ehefrau des Anton Laucher, Theresia Laucher geb. Widmann, hat dann die Vermögenstrennung ihres Anteils am gemeinsamen Vermögens betrieben, dem dann, siehe nebenstehende Veröffentlichung im Amtsblatt, gerichtlich stattgegeben wurde. Insoweit war ihr persönliches Vermögen vorerst geschützt. Trotzdem müssen die Einkommensverhältnisse eingeschränkt gewesen sein, denn mit Beschluss des Gemeinderats vom 20. Oktober 1876 wurde folgendes beschlossen: „Theresia Widmann, Ehefrau des abwesenden Anton Laucher, von hier, wird als Schuldienerin mit einem Gehalt pro Jahr von 170 Mark aus der Stadtkasse ernannt.“ Die Aufgabe der Schuldienerin umfasste das vorschriftsmäßige Reinigen der Schulzimmer und der Fenster, das Heizen der Schulöfen u.a.m. im damaligen Schulhaus, heute Vereinshaus. Mit dieser sicherlich unter sozialen Aspekten vorgenommenen Anstellung, welche der Familie ein geregeltes Einkommen garantierte, war aber auch „die Auszahlung der den beiden Hauptlehrern bewilligten Beträge für die bezeichneten Verrichtungen zu sistieren [ii]“. Zu der damaligen Zeit war es durchaus nicht unüblich, dass Lehrer, die seinerzeit von der Gemeinde bezahlt wurden, verschiedene Dienste in der Gemeinde gegen Entgelt übernahmen, z.B. den Organistendienst in den Kirchen, Fortbildung der bereits schulentlassenen Jugendlichen, Dirigentenämter bei Musikkapellen und Gesangvereinen u. A.

Zwei Gnadengesuche

In den Archivalien des Generallandesarchivs in Karlsruhe finden sich zwei Gnadengesuche, das erste 1876, das zweite 1884.

Erstes Gnadengesuch der Ehefrau

Am 21. Juli 1876, 5 Jahre nach der unsäglichen Tat, hat die Ehefrau Theresia geb. Widmann direkt beim Bad. Großherzog um Begnadigung ihren Mannes gebeten. In der Stellungnahme des Ministeriums des Großh. Hauses, der Justiz und des Auswärtigen vom 12. August 1876 führt dieses zur Begründung der  Frau Laucher an „dass ihr Mann die verbrecherische That in einer krankhaften Aufregung verübt & dieselbe seither tief bereut habe. Sie weist darauf hin, daß derselbe an seiner Strafe schon fünf Jahre erstanden habe und erklärt Namens des Verurtheilten dessen Bereitwilligkeit, die Begnadigung von der Bedingung der Auswanderung nach Amerika abhängen zu lassen. Der Gemeinderat zu Bräunlingen unterstützt dieses Gnadengesuch namentlich mit Rücksicht auf den guten Leumund der Bittstellerin. Der urteilende Gerichtshof dagegen, dem wir die Begnadigungsbitte des Verurtheilten zur gutachterlichen Äußerung gegeben, vermag dieselbe mit Rücksicht auf die Beschaffenheit der Tat zur Willfahrung nicht zu empfehlen“. Das Ministerium bittet den Großherzog, das Gnadengesuch abzulehnen und begründet dies mit der Art und Weise wie die Tat in Bräunlingen geschah. Dass der Inhaftierte reuig sei, stünde im Widerspruch zu den Unwahrheiten, mit denen er seine Erzählung ausgeschmückt hat. Nachdem die Tat durch die Geschworenen in einer für Laucher günstigen Weise beurteilt war, aber auch aufgrund des bisher geringen Teils der Strafverbüßung, lasse sich die Begnadigung, so das Ministerium, nicht rechtfertigen. Der Antrag auf gnadenweisen Nachlass des Restes der vom Schwurgericht Konstanz erkannten Zuchthausstrafe wurde nach Mitteilung des Großh. Staats-Ministeriums vom 22. August 1876 durch „Seine Königliche Hoheit der Großherzog“ aufgrund „Allerhöchster Staatsministerialentschließung abgelehnt.

Zweites Gnadengesuch

Bereits 1881, 10 Jahre nach der Tat, hat der Gemeinderat auf Vorlage des Bezirksamtes beschlossen, „dass man gegen die vorläufige Entlassung den Anton Laucher aus dem Zuchthaus in Bruchsal nichts einzuwenden habe“. Mit Verweis auf die gute Führung im Männerzuchthaus Bruchsal und der angeschlagenen Gesundheit hat das Justizministerium mit Erlass vom 13. Oktober 1882 die vorläufige Entlassung verfügt. Der Rest der Strafe von 2 ½ Jahren wurde nicht erlassen, nach heutigem Sprachgebrauch auf Bewährung ausgesetzt. Nach der Rückkehr nach Bräunlingen hat Anton Laucher um Erlaubnis zur Auswanderung nachgesucht und seine Bitte damit begründet, „dass es ihm in seiner Heimat mit Rücksicht auf seine Vergangenheit nur schwer möglich sei sich Arbeitsgelegenheit und hinreichendes das Fortkommen zu verschaffen“. Der Gemeinderat spricht sich für eine Auswanderung aus und teilte mit, dass Laucher seit seiner Entlassung sich gut geführt habe. Es sei der Familie, Ehefrau und zwei erwachsene Töchter, möglich, das Fortkommen der Familie, auch nach der Auswanderung, zu gewährleisten. Da der Genehmigung zur Auswanderung die Verbüßung der Reststrafe entgegensteht, wurde durch das Justizministerium der gnadenweise Erlass der Reststrafe, die erst am 27. Februar 1885 endet, befürwortet. Dass Verwandte und Freunde Gelder für die Auswanderung und die erste Zeit in Amerika zur Verfügung stellen wurde positiv vermerkt. Weiter wurde in dem Gnadengesuch die Bereitschaft der Familie dargelegt, dem Verurteilten nach Amerika zu folgen, wenn es ihm dort gelänge, eine gesicherte Existenz zu gründen. Für eine Auswanderung spreche auch ein Interesse der Heimatgemeinde, nämlich, dass der Verurteilte wegen mangelnden Verdienstes dieser nicht zur Last falle.  Selbst der Hausgeistliche des Zuchthauses, der Laucher zur Zeit der Strafverbüßung kennenlernte, hat den Erlass der Reststrafe befürwortet. Das Ministerium spricht sich in einem ausführlichen Schriftsatz vom 15. April 1884 für die Auswanderung aus und hält diese für wünschenswert. Allerdings sei die Gefahr nicht völlig ausgeschlossen, dass Laucher von der beabsichtigten Auswanderung Abstand nimmt, „da es nach neueren völkerrechtlichen Grundsätzen nicht angängig ist, die Begnadigung an die Bedingung der Auswanderung zu knüpfen.“

Mit „Allerhöchster Staatsministerial-Entschließung“ vom 19. April 1884 hat dann der Großherzog den Rest der ausgesprochenen Zuchthausstrafe nachgelassen.

Damit endete auch die strafrechtliche Entscheidung des Schwurgerichts Konstanz vom 23. Oktober 1871 und der „Fall Laucher“ wurde geschlossen.

Auswanderung nach Amerika

Nach verschiedenen Zeitzeugenberichten ist Anton Laucher nach Amerika ausgewandert. Ein Nachweis hierüber, wann, von wo und wohin die Auswanderung erfolgte, konnte allerdings in den Akten des Stadtarchivs nicht gefunden werden. Sowohl die Auswanderungsakten, das Meldebuch als auch  das Verzeichnis über Wegzüge führen den Namen  des Anton Laucher und seiner Ehefrau nicht.

 

Fotos:

Kelnhofmuseum 2

Joachim Schweitzer 2

 

Im Juli 2021

Joachim Schweitzer

[i] Inculpate = Angeklagte, Beschuldigte

[ii] Sistieren = vorläufig einstellen, unterbrechen, aufheben

 

 

 

Artikel wurde am 27. Juli 2021 veröffentlicht.