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Vor 100 Jahren: Grundsteinlegung für die Staumauer Kirnbergsee am 4. Dezember 1921 – erste derartige Staumauer im süddeutschen Raum
Im Fundus des Kelnhof-Museums befindet sich ein 100 Jahre altes Gipsmodel der Talsperre Kirnbergsee, welches den Anlass gibt, an die Grundsteinlegung vor 100 Jahren und im kommenden Jahr an die Fertigstellung des Bauwerkes zu erinnern. Mit der Talsperre und dem Kraftwerk bei Waldhausen sollte die Stromversorgung der seit 1905 bestehenden Dampfkesselanlage im elektrischen Werksgebäude an der Ecke Blaumeerstraße/Zähringerstraße, heute Zunfthaus, sichergestellt und mittels Wasserkraft auf lange Sicht gewährleistet werden.
Die Grundsteinlegung für die Talsperre bei Unterbränd, heute Kirnbergsee genannt, fand vor 100 Jahren am 4. Dezember 1921 statt .
Dies war für das kleine Bräunlingen (rund 1.700 Einwohner) ein bedeutender Tag und ein besonderes Ereignis. Dies unterstreichen auch die Reden, die zur Grundsteinlegung gehalten wurden. Die zahlreich erschienenen auswärtigen Festgäste, Stadtpfarrer Meister, der Gemeinderat und Mitglieder der Stadtverwaltung wurden mit „tannengeschmückten Autos an die eine gute Stunde von Bräunlingen entfernte Baustelle gebracht“, so der Donau-Bote.
Die Feier verfolgte eine große Anzahl von interessierten Bürgern aus Bräunlingen und Unterbränd. Die Festteilnehmer versammelten sich auf den Brettergängen der Baugerüste, an den Berghalden und auf dem Kürnburgfelsen. Am Tage der Grundsteinlegung war die Staumauer bereits 3 Meter über die Talsohle aufgeführt. Diese war mit Fahnen und Girlanden geschmückt.
Mit dem Musikstück „Benedictus“ von Haydn, vorgetragen von der Stadtmusik, begann die Feier der Grundsteinlegung. Bürgermeister Martin Müller begrüßte die zahlreich erschienenen Ehrengäste von staatlichen und kommunalen Behörden pauschal mit den Worten „Seid willkommen zu dieser für unsere Vaterstadt feierlichen und denkwürdigen Stunde“. Unter anderem führte er an, dass es ein Gebot der nach dem Krieg angebrochenen neuen Zeit ist, den Brändbach als Kraftquelle zur Gewinnung elektrischer Energie zu erschließen. Gemeinderat und Bürgerausschuss hielten durch einstimmige Beschlüsse die Zeit für gekommen, das am meisten für die Zukunft versprechenden Projekt in Angriff zu nehmen. Es wurde auch eine Variante zur Nutzung der Breg untersucht.
Bereits im Dezember 1920 erfolgte der erste Spatenstich, um die Untergrundverhältnisse zu klären. Diese wurden von der geologischen Landesanstalt Freiburg geprüft und nachdem Diplom-Ingenieur Flügel, Karlsruhe, durch ein Gutachten die technische Machbarkeit bestätigt hat, wurden die Mittel für das Projekt zur Verfügung gestellt.
Im Donau-Boten steht: „Das Werk kostet 6 Millionen Mark. Aber Bräunlingen ist infolge des Erlöses … aus den Waldungen in der Lage, die ganze Bausumme glatt zu bezahlen, ohne Anleihen aufnehmen zu müssen.“ Bürgermeister Müller bedankte sich bei den örtlichen Beschlussorganen, Gemeinderat, Bürgerausschuss und Wasserbau-Kommission, bei den staatlichen Behörden, der F.F. Standesherrschaft, den Gemeinden Unterbränd und Waldhausen und deren Einwohnern für die Bereitstellung und den Verkauf der notwendigen Geländeflächen.
Anschließend sprach Stadtpfarrer Meister. Er begann seine Rede mit dem Worten „Gott sprach es werde Licht“. Er erinnerte nach die früheren Beleuchtungsarten vom offenen Feuer über den Holzspan/Kienspan, die Unschlitt-Kerze, Erdöllampe bis zur heutigen Glühbirne. Er wünschte dem Bauwerk ein gutes Gelingen, den Arbeitern ein unfallfreies Arbeiten und schloss mit den Worten „dass dieses Werk für unsere Stadtgemeinde eine Quelle der Kraft und des Lichtes werde, eine treibende Kraft zum blühenden Fortschritt auf Jahrhundert und Jahrtausende!“.
Der leitende Ingenieur, Diplom-Ingenieur Flügel, stellte das Bauwerk in die großen Zusammenhänge der gegenwärtigen wirtschaftlichen Lage und bezeichnete die elektrische Energie als weiße Kohle, nachdem nach dem verlorenen Krieg ein Großteil der schwarzen Kohle durch die Siegermächte genommen wurde. „Bräunlingen schaffe das erste derartige Werk in Süddeutschland, das mache die Stadt zur Bannerträgerin und stelle sie an die Spitze der neuzeitlichen Entwicklung“.
Ingenieur Friedrich Hofheinz, der die Baustelle vor Ort leitete, verlas die für den Grundstein bestimmten Urkunden. Die Gründe für die Erstellung der Talsperre und dem Kraftwerk bei Waldhausen waren in Beilagen aufgeführt. An bauausführenden Firmen wurden genannt: für den Bau der Sperrmauer (Lehr & Motsch, Freiburg), Druckrohrleitung (Grosselfinger & Cie. und Zepf, Offenburg), Krafthaus (Josef Strobel, Bräunlingen), Turbinen (J.M. Voith, Heidenheim), elektrischer Einrichtung (Bergmann Elektrizitätsgesellschaft, Berlin), Fernleitung, Ortsnetze und Gleichrichteranlage im elektrischen Werk (Allgemeine Elektrizitätsgesellschaft -AEG-, Berlin).
Der umfangreiche Baubericht begann mit der Feststellung, dass bereits vor 20 Jahren die Idee einer Brändbachtalsperre in der Bürgerschaft vorhanden war. Das Einzugsgebiet beträgt ca. 15 qkm, die jährliche Wassermenge in Jahren mit mittleren Niederschlägen wurde mit rund 6 Millionen m³ berechnet. Wegen der Aufrechterhaltung der landwirtschaftlichen Betriebe in Unterbränd lassen sich rund 1.250.000 m³ aufstauen, die überstaute Fläche beträgt 230.000 m². Die von Unterbränder Einwohner zur Verfügung gestellten Flächen wurden gegen andere Flächen eingetauscht. Die Aufstauhöhe über der Talsohle hat eine Höhe von 12 Metern. Die Sperrmauer wird eine reine Schwergewichtsmauer mit einen Rauminhalt von 4.500 m³.
Die Druckrohrleitung, Durchmesser 70 cm, hat eine Länge von 2.800 Meter. Der Bau des Kraftwerkes, in welchem 3 Generatoren aufgestellt werden, wird von Stadtbaumeister Hofacker geleitet. Der Höchstdruck im Kraftwerk beträgt 62 Meter, die erzeuge Stromgewinnung wird bei einem mittleren Wasserabfluss mit 100.000 Kilowattstunden/Jahr erwartet.
Nach Verlesen der politisch-wirtschaftlichen Begründung für das Bauwerk, unterschrieben durch Bürgermeister Martin Müller und Diplom-Ingenieur Flügel, sang der Männergesangverein „Liederkranz“ das Lied: „Das ist der Tag des Herrn“.
Danach wurden sämtliche verlesene Urkunden in einer Blechkapsel zusammen mit Bezugsmarken, Geldstücken und Zeitungen in den Grundstein gelegt, der dann sofort verschlossen wurde. Es folgten durch den Bürgermeister und durch 9 Ehrengäste Hammerschläge auf den Grundstein, jeweils verbunden mit einem Spruch oder Glückwunsch, z.B. von Diplom-Ingenieur Flügel: „Dem Wasser zum Trutz! – Dem Tale zum Schutz! – Der Stadt Bräunlingen zum Nutz“ oder eines anderen Ehrengastes: „Des Wassers Macht – Schaff‘ Licht und Kraft“. Der Donau-Bote beendete die Berichterstattung über die Grundsteinlegung mit dem Schlusssatz: „Das gemeinsame Lied: Deutschland, Deutschland über alles schloss die denkwürdige Feier inmitten der grandiosen Gebirgswelt“.
Nach Rückkehr der Gäste von der Baustelle fand im geschmückten Saal der Brauerei Graf die Feier der Grundsteinlegung mit einem Festessen seine Fortsetzung, wozu alle Ehrengäste und die Mitwirkenden eingeladen waren. Jeder an der Baustelle beschäftigte Arbeiter bekam 30 Mark, „damit er nach seiner Art den Tag würdig feiere“. Stadtmusik, Männergesangverein und ein von Bürgermeister Müller dirigiertes Doppelquartett umrahmten die Feier im Grafensaal.
Am 6. Dezember 1921 berichtete der Donau-Bote über die Grundsteinlegung unter anderem: „Die Stadtgemeinde Bräunlingen hatte am Sonntag, 4. Dezember, einen großen Tag. Zu einem weitausschauenden für Jahrhunderte bestimmten Großwerke, einem Unternehmen der Stadtgemeinde, einem Talsperrenbau, den ersten dieser Art in Süddeutschland, wurde feierlichst der Grundstein gelegt.“
Durch den folgenden Wintereinbruch wurden die Arbeiten eingestellt, nach der Schneeschmelze wieder fortgesetzt. Die Fertigstellung des für Bräunlingen außerordentlichen Werkes konnte ein Jahr später, im Dezember 1922, gefeiert werden. Hierüber werden wir dann wieder berichten. Außerdem ist über die Talsperre Kirnbergsee und das Kraftwerk im Dezember nächsten Jahres eine Ausstellung im Kelnhof-Museum vorgesehen.
Im November 2021
Joachim Schweitzer