Artikel

Kelnhof-Museum – Ehemals Gasthaus „Rössle“ – 1922 – vor hundert Jahren endete die Geschichte des Wirtshauses

Im September d.J. jährt sich die Schließung des ehemals über die Grenzen von Bräunlingen hinaus bekannten Gasthofes „Rössle“. Vor 100 Jahren, am 1.September, beendeten der damalige Besitzer Gustav Scherzinger und seine Ehefrau den Wirtschaftsbetrieb. Lediglich das Wirtshausschild an der Giebelseite erinnert noch heute an die frühere Nutzung.

Das „Rössle“ hat in Bräunlingen eine weit zurückreichende, ununterbrochene Tradition. 1739 erhält Josef Meßmer, Bürger und Maurer in Bräunlingen, die Schildgerechtigkeit (=Konzession) für eine Zapfwirtschaft für Bier und Wein.

Er nannte seine Wirtschaft „zum weißen Rösslin“. Interessant ist die Zeichnung des Wirtshausschildes durch den damaligen Ratschreiber am Rande des Gemeinderatsprotokolls. Eine Marotte, die er jeweils bei Beschlüssen im Zusammenhang mit der Schildgerechtigkeit tat. So sind in den Protokollbüchern viele frühere Wirtshausschilder verewigt. Aber auch bei anderen Beschlüssen, z.B. zur Ottilienkapelle oder zum letzten Aufrichten des Ortsgalgens, sind seine Zeichnungen der direkte Hinweis am Rande des Protokolls.

Bereits bei einem Eigentümerwechsel 1784 wurde das Gasthaus jedoch nur noch als „Rössle“ bezeichnet, während der Name „Rössli“, wie die Gastwirtschaft in Bräunlingen in der Mundart genannt wurde, bis heute verwendet wird. Der Name „Rössle“ oder „Zum Rössle“ ist im alamannisch sprechenden Raum einer der häufigsten Wirtshausnamen. Er hat seinen Ursprung im Standort einer Poststation und dem damit verbundenen Pferdewechsel. Der Name „Post“ oder „Zur Post“ verweist auf eine frühere Posthalterei, allerdings ohne Umspannmöglichkeit für die Postkutsche. Häufig ist die Verbindung mit einer früheren Bezeichnung, vor der Übernahme der Posthalterei, genannt, z.B. „Sternen-Post“ oder „Sonne-Post“. Am häufigsten im schwäbisch-alamannischen Sprachraum aber ist der Wirtschaftsname „Linde“. Er erinnert an die Dorflinde, wo getanzt wurde, oder an die Nachbarschaft der Gerichtslinde.

Ähnlich wie bei anderen Wirtschaften in Bräunlingen war und ist der Wirtshausname nicht Standorttreu. Ursprünglich in der Ledergasse, heute Dekan-Metz-Straße, wanderte der Name durch Verkauf, und damit die Schildgerechtigkeit, an den Kelnhof beim früheren Waldtor. Der Kelnhof als ehemaliges Klostergut fiel im Jahre 1802[i] der Säkularisation zum Opfer. Neuer Eigentümer wurde der Badische Staat, der dann in der Folge das Gebäude privatisierte.

Mathias Hepting und seine Ehefrau Agnes Rosenstihl übersiedeln 1823, nachdem sie 1819 das „Rössle“ in der Ledergasse gekauft haben, mit der Schildgerechtigkeit in das Kelnhofanwesen neben dem früheren Waldtor. Sie wurden im Zuge der Gant (Zwangsversteigerung) des Rochus Eggert mit drei weiteren Bietern Eigentümer. 1825 wurde diese Bietergemeinschaft aufgehoben und Mathias Hepting ist Alleineigentümer geworden.

Die Tochter Josefa Hepting verkaufte 1846 das „Rössle“ für 4.150 Gulden an Ratschreiber Philipp Hofacker, der während der Badischen Revolution 1848/49 für kurze Zeit Bürgermeister von Bräunlingen war. Auch war Ph. Hofacker eine treibende Kraft zur Gründung der Freiw. Feuerwehr im Jahre 1864. Nach mehrmaligen Besitzerwechsel innerhalb der Familie kaufte dann Johann Wehinger 1883 das Gasthaus. Er ist der Stammvater der Wirtefamilie Wehinger, die heute das Gasthaus Weinstube betreibt. Der Beiname Rösslewirt ist jedoch mit der Wirtsfamilie Wehinger an den Spitalplatz „umgezogen“, heute aber leider nicht mehr so gebräuchlich, und wird zunehmend vom jetzigen Namen der Weinstube (Wiistubewirt – Wiistibler) verdrängt. Der Großvater des jetzigen Weinstubenwirts, Klaus Wehinger, ist noch heute bei der älteren Generation als Rössli-Fritz, der Vater als Rössli-Philipp bekannt.

Für 14 Jahre war dann ab 1908 der Orgelpfeifenmacher Josef Oschwald aus Seppenhofen, der später nach Amerika auswanderte, der Besitzer des Kelnhofes.

Gustav Scherzinger und seine Ehefrau kauften 1922 Gasthof und angegliederte Landwirtschaft. Die Landwirtschaft wurde weiter betrieben der Wirtshausbetrieb jedoch zum 1. September 1922 eingestellt. Damit endete nach 183 Jahren die Geschichte des Gasthauses „Rössle“.

Andere Wirtschaften wie der Reichsadler, Grafenbräu und Ochsen übernahmen die Funktion für größere Zusammenkünfte.

An statistischen Zahlen sind noch bemerkenswert: Der Bierkonsum war nicht unerheblich. Er betrug z.B. 1904 = 18.115 Liter, 1905 = 24.617 Liter und 1906 = 19.817 Liter. 1870 bescheinigte die Großherzogliche Steuereinnehmerei den Verkauf und die Einlagerung von 63 hl. Wein in den letzten 10 Jahren, was einen durchschnittlichen Verbrauch von 630 Liter je Jahr ergab.

Das Gasthaus mit Wirtsraum und „Tanzsaal“ bewirtete über Jahrzehnte die Bräunlinger an hohen Festtagen, wie z.B. an Geburtstagen des Kaisers und des Großherzoges, und bei freudigen Ereignissen wie Hochzeiten, an Fastnacht und Kilbig. Aber auch der Dentist/Zahnarzt hatte dort noch vor dem I. Weltkrieg seine Praxis, wie Anzeigen aus den betreffenden Jahren belegen. Auch an Fastnacht war beim Rössle einiges los, was die eingefügte Anzeige beweist.

 

Bräunlingen, im Juli 2022

Joachim Schweitzer

 

 

[i] Hornung „Geschichte der Stadt Bräunlingen“, 1964, Seite 428

Artikel wurde am 29. August 2022 veröffentlicht.