Artikel

1945 – Nach der Stunde null: Neubeginn im Einvernehmen mit der französischen Besatzung (Teil 2)

1945 – 30. Mai – Bildung eines ernannten Gemeinderates

Sofort nach Ernennung (29. Mai) von Johann Zirlewagen zum Bürgermeister schreibt dieser an Paul Dachs, Johann Fürderer, Otto Holzer, Carl Hornung, Johann Koch, Johann Moser, Bernhard Moßbrugger und Otto Würth: „Kraft der Verfügung der Besatzungsbehörde bin ich als Bürgermeister ermächtigt, Sie zum Mitglied des Gemeinderates zu ernennen, was hiermit geschehen soll. Die erste Gemeinderats-Sitzung findet am Samstag, den 2.6.1945 abends 19.30 Uhr statt. Ihr Erscheinen hierzu wird dringend erwartet“.

Carl Hornung, Johann Moser und Johann Fürderer waren bereits bis 1933 Gemeinderäte der Zentrumspartei bzw. Arbeiterpartei gewesen. C. Hornung und J. Moser mussten am 20. Juli 1933 auf Verlangen der Kreisleitung der NSDAP auf ihre Mandate als Gemeinderäte verzichten und ihren Rücktritt schriftlich erklären; J. Fürderer hat aufgrund des Gleichschaltungsgesetzes vom 31. März 1933 entsprechend dem Bräunlinger Ergebnis der Reichstagswahl vom 5. März 1933 den Gemeinderat verlassen müssen.

Die Benachrichtigung der Einwohnerschaft über die Einsetzung des neuen Gemeinderats erfolgt am 1. Juni 1945 mit Bekanntmachung und Aushang im Rathaus und an allen Verkündtafeln. Der Sammelantrag für die neuen Gemeinderäte einschließlich der Verwaltungsbediensteten Hofacker Ferdinand (Ratschreiber), Fehrenbach Reinhard (Gemeinderechner) und Reichmann Karl (Revierförster) zur Verkürzung der Ausgangssperre bis 22 Uhr, wurde am 2.6.1945 für die am gleichen Tag stattfindende erste Sitzung des neuen Gremiums beim Ortskommandanten der Besatzungsbehörde gestellt, da die Sitzungsdauer voraussichtlich über die Ausgangssperre von 21 Uhr hinausgehen würde.Am 28. September 1945 ernannte Bürgermeister Zirlewagen schließlich noch Landwirt Eugen Albicker, Bruggen, mit sofortiger Wirkung zum Gemeinderat.

Fragebogen des Gouvernement Militaire en Allemagne

Die ernannten Gemeinderäte erhielten vom Gouvernement Militaire en Allemagne einen Fragebogen, in welchem sie ausführliche Angaben zur Person, zu Mitgliedschaften in den verschiedensten Organisationen der NSDAP, Dienst- und Einkommensverhältnisse, Militärdienst, Auslandsreisen und politische Mitgliedschaften zu machen hatten. Soweit die Fragebogen noch vorhanden sind, sind die nachfolgenden Antworten es wert, festgehalten zu werden.

Eine der Fragen lautet:

Wurden Sie jemals aus rassischen oder religiösen Gründen, oder weil Sie aktiv oder passiv den Nationalsozialisten Widerstand leisteten, in Haft genommen oder in Ihrer Freizügigkeit, Niederlassungsfreiheit oder sonst wie in Ihrer gewerblichen oder beruflichen Freiheit beschränkt:

Ja / Nein

Falls ja, dann geben Sie Einzelheiten sowie die Namen und Anschriften zweier Personen an, die die Wahrheit Ihrer Angaben bestätigen können:

Diese Frage wurde wie folgt beantwortet, wobei hier auf die Benennung der Zeugen verzichtet wird:

  • von Bernhard Moßbrugger, Jahrgang 1898:
    Auf Antrag der NSDAP wurde ich durch die Gestapo als Schutzhäftling 8 Tage ins Gefängnis Donaueschingen eingeliefert und zwar im Oktober 1935
  • von Johann Moser, Jahrgang 1883:
    Am 1. Juli 1933 wurde ich in meiner Wohnung von 6 SS-Leuten bewacht, außerdem wurden mir die Gendarmerie nebst Ortgruppenleuten u. 2mal die Gestapo ins Haus geschickt zur Hausdurchsuchung.
  • von Paul Dachs, Jahrgang 1891:
    Führer der KPD Ortsgruppe Bräunlingen
  • von Johann Koch, Jahrgang 1888:
    Infolge meiner passiven Haltung gegenüber den Nationalsozialisten hatte ich beruflich schwer zu kämpfen.

2. Juni 1945 – Erste Sitzung des ernannten Gemeinderates

In der ersten Sitzung nach dem Ende des 2. Weltkrieges wurden die neuen Gemeinderäte auf ihr Amt verpflichtet, Stadtrechner Fehrenbach berichtete über den Stand der Finanzlage der Stadt, wobei er als Geldvermögen die Summe von 229.967 RM nannte, Schulden: Keine.

Der Gemeinderat beriet über die Preisunterschiede bei Requirierungen der Besatzungsbehörde im Vergleich zum ortsüblichen Preis, über die Entlohnung von 4 Mann Polizeikräften, die vom Landrat zur Verfügung gestellt wurden, und über einen Antrag, die Ziegel der Sportplatzhütte für ein durch Beschuss undicht gewordenes Dach zur Verfügung zu stellen.

Die Nummerierung der Beratungspunkte im Protokollbuch des Gemeinderats wurde mit der Nr. 1 begonnen, ein kleines Zeichen eines Neuanfanges.

Bis zur ersten freien und geheimen Gemeinderatswahl am 15. September 1946, die auf Anordnung der Besatzungsbehörden stattfand, hat der am 30. Mai 1945 durch Bürgermeister Zirlewagen zusammengestellte und ernannte Gemeinderat  28 Sitzungen abgehalten. In der letzten Sitzung am 9. September 1946 dankt Bürgermeister Zirlewagen den Gemeinderatsmitgliedern für „ihre treue und friedliche Mitarbeit, die sie in der schweren Zeit seit dem Umsturz 1945 der Gemeinde geleistet haben“.

Wichtige oder wiederkehrende Beratungspunkte in dieser Zeit waren u.a.

  • die Unterbringung und Versorgung der Besatzungssoldaten;
  • die Androhung des Ortskommandanten, 15 Häuser anzuzünden, weil trotz der strengen Befehle, alle Waffen abzugeben, bei sechs Jugendlichen sechs französische Gewehre und 1.000 Schuss Munition gefunden worden waren. Diese Repressalie konnte in eine Kontributionsstrafe von 1.000 RM für die Gemeinde bzw. die Jugendlichen umgewandelt werden (Juni 1945);
  • die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln, Lebensmittelkartenverwaltung;
  • den Wiederaufbau der bei einem Luftangriff zerstörten Kapelle in Bruggen;
  • die Besetzung der Ratschreiberstelle und der Stelle des Kommandanten der Feuerwehr;
  • Unterbringung von Flüchtlingen, Wohnraumbewirtschaftung mit Bildung einer Wohnungskommission zur Linderung der Wohnungsnot (Juli 1945);
  • Tod der Eleonore Hauser, verursacht durch einen französischen Soldaten (August 1945);
  • die Regelung und Behebung der Schäden an Gebäuden in Folge Kriegseinwirkung;
  • Sammlungen und Konzertveranstaltungen zugunsten der Bombengeschädigten;
  • Arbeitseinsätze von deutschen Kriegsgefangenen;
  • Rehabilitierung von Bürgermeister Martin Müller und Stadtpfarrer Julius Meister (Febr. 1946);
  • Verhandlungen mit der Militärregierung wegen den Kahlhieben im Stadtwald (April 1946);
  • Vorbereitung der Gemeinderatswahl am 15.9.1946 nach den Vorschriften der Militärregierung.

Bei einem Vergleich der vorstehenden Beratungspunkte mit den Tagesordnungen des Gemeinderats der heutigen Zeit dürfen die jetzigen Aufgaben des Gremiums durchaus als Lösung von „Luxus-Problemen“ betrachtet werden.

 

Mai 2020

Joachim Schweitzer

 

 

 

Artikel wurde am 18. Juni 2020 veröffentlicht.