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Kuriositäten aus Museum und Stadtarchiv – Eine geschnitzte Schlägerei und Kilbigunterhaltung vor 300 Jahren

Ganz und gar ungewöhnlich ist eine kaum beachtete kleine Figurengruppe, die im Foyer des Kelnhof-Museums in einer Vitrine zu sehen ist.

Gerade einmal 14 Zentimeter hoch ist das höchst originelle Schnitzwerk, das nicht etwa, wir man es gewohnt ist, Heilige darstellt, sondern – eine Schlägerei zwischen zwei jungen Männern! Die beiden hat zwar nicht ein großer Meister, aber durchaus ein Könner, im späten 18. oder frühen 19. Jahrhundert  geschaffen. Die sorgfältig geschnitzte Skulptur wurde sogar aufwändig farbig gefasst.

Einer der Streitenden hat den andern um die Taille gefasst und versucht, ihn umzuwerfen, aber der andere zieht ihn sehr energisch an den Haaren, was weh tut, denn er hat den Mund geöffnet, sein Wehgeschrei kann man sich gut vorstellen. Gleichzeitig hält ihn der Gegner mit seiner anderen Hand am Hosenbund fest, die Hose scheint gerade zu zerreißen. Kleidung und Haartracht der beiden sind fein ausgearbeitet, was die Datierung des Werkes ermöglicht. Einer der Streitenden trägt Kniehosen, die eigentlich mit der französischen Revolution aus der Mode kamen, was sich jedoch nicht überall ganz rasant durchsetzte; der andere besitzt bereits lange Hosen, trägt dazu eine hübsche Weste und ein reich gefaltetes Hemd, die Jacke, die sein Gegner noch trägt, hat er wohlweislich abgelegt. Die Haare der Raufenden sind relativ lang, aber nicht mehr zu einem Zopf gebunden; aber wer weiß, vielleicht haben sich ihre Zöpfe im Eifer des Gefechts auch aufgelöst.

Die Miniatur-Skulptur bewahrt ihr Geheimnis. Wir wissen nicht, woher sie stammt, aber sie gehört zum Altbestand des Museums. Wer hat sie geschnitzt und gefasst? Wen stellte sie dar; vielleicht nahm sie bestimmte Personen und ein bestimmtes Ereignis aufs Korn?

Zeitlich zwar nicht ganz passgenau, aber ansonsten von unserer Miniatur-Skulptur gut illustriert, können wir uns Vorkommnisse an der Bräunlinger „Kürchweyh“ in den Jahren 1721, 1723 und 1737 vorstellen, die einerseits den von der Stadt angestellten Jäger Joseph Hummel betreffen, andererseits längst vergessene Kilbigtraditionen erwähnen und uns in Anekdoten vor Augen führen, was vor rund 300 Jahren zum Bräunlinger Kilbig-Unterhaltungsprogramm gehörte.

In den Ratsprotokollen und den „Jägerdienstakten“ ist mit Datum vom 15. Oktober 1721 vermerkt, dass sich ein Johann Germann beim ehrsamen Rat der Stadt und dem Oberschultheißen Franz Ferdinand Dreyer über den Jäger Joseph Hummel beschwerte. Aus den Einträgen geht hervor, dass der städtische Jäger quasi auch die Funktion eines Ortspolizisten ausüben musste oder durfte. Er war an Kilbig für die Einhaltung der Ordnung und der – strengen! – Vorschriften zuständig. 1721 aber, so ist zu lesen, erging der Auftrag dazu an den Johann Germann, der deshalb den Zorn des Jägers auf sich gezogen hatte. Vermutlich verzichtete der Jäger ungern auf die sicher mit dem Wächterdienst verbundenen Einnahmen, zum andern fühlte er sich anscheinend in seinem Stolz gekränkt und übergangen.

Wir erfahren, dass es an Kilbig zu den Aufgaben des Wächters (der normalerweise der Jäger war) gehörte, „in den Würthshäußeren und offenen Plätzen“, wo Tänze veranstaltet wurden, nach dem Rechten zu schauen. 1721, als Johann Germann das Wächteramt innehatte, traf er „in Mathis Gluncken Hauß“, in der Nacht nach neun Uhr (Sperrstunde!), auf den erzürnten Jäger Joseph Hummel. Der redete „schmählich wider den Herrn Oberschultheißen“, sagte, dass er sich nicht um ihn schere, dass er ihn sogar hasse. Es sei seine Aufgabe als Jäger, an Kirchweih auf die „Täntz und Händel Achtung zu geben“ und nicht die des Germann! Er achte deshalb auch nicht auf die Gebote des Oberschultheißen, der meine, er sei hier alleine der Meister. Um dies zu unterstreichen, habe der Jäger den „Spielleuten“ – also den Musikanten –  befohlen, auf seine Verantwortung hin bis in den anderen Morgen zu spielen. Daneben habe er auch noch „sehr übell geflucht und geschworen“, alles gute Zureden habe nichts genützt und er wäre „mit schänden, schelten und fluochen fürgefahren“. Schließlich habe auch des Jägers Schwager Michel Götz “gleichergestalten fulminieret und noch ärger als der Jäger selbsten geschändet und geschworen“. An der selben Kirchweih hatten auch Michell Dangeleysen und Ignati Mößner einen Händel in Jacob Baumanns Haus und haben einander geschlagen. Sonst gäbe es nichts zu berichten, was „rügbar“ wäre. Leider ist im Protokoll nicht vermerkt, welche Strafen oder Bußen verhängt wurden.

Dem Jäger aber wurde sein Verhalten nicht weiter verübelt, denn 1723, am 28. September, ist ihm das Amt wieder ganz selbstverständlich übertragen worden. Dieses Mal erfahren wir, dass die Stadtverwaltung Konzessionen für Spieltische, an denen gewürfelt werden durfte, vergeben hat. „Scholderwerk“ hieß das sonst verbotene Glücksspiel. Die Einnahmen für die Vergabe der Spieltische solle dem Jäger „pro parte salarii“, als Teil seines Gehaltes gehören, damit er „an den Tanz-Tägen auf alle Unhändel und strafbare Sachen guthe obacht tragen solle“. Solche Vorkommnisse müsse er pflichtgemäß der Obrigkeit anzeigen. Weiter hatte der Jäger an Kirchweih die Aufgabe, „Spihlblätz“ für das Freischießen zu verleihen. An Kilbig fand jedoch stets nur ein „kleines Freischießen“ oder „Recreationsschießen“  statt.

Aus der Anfrage des Jägers Joseph Hummel vor der Kilbig des Jahres 1737 geht hervor, dass die Wirte das „kleine Freischießen“ veranstaltet haben. Daneben richtete aber anscheinend auch die „Ehrsame Schützengesellschaft“ Freischießen aus. Der Jäger hatte auch in jenem Jahr die Pflicht,  „auf alle entstehende Unhändel genau Obacht zu haben und selbe abzustellen oder pflichtmäßig anzuzeügen, was darbey zu rüegen ist.“

Susanne Huber-Wintermantel

Artikel wurde am 8. Oktober 2020 veröffentlicht.